Halbjahresbilanz der MDR fällt schlecht aus

MDR_Umfrage“Die Vielfalt an Medizinprodukten in Europa droht zu schwinden. In einigen Fällen werden sich keine Alternativen am Markt finden lassen.” Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Befragung der DIHK, der MedicalMountains GmbH und Spectaris über die Folgen der europäischen Medical Device Regulation (MDR). Die Verordnung gilt seit dem 26. Mai 2021 verbindlich in der EU und löst die bisher etablierten Prozesse des Inverkehrbringens und der Bereitstellung von Medizinprodukten ab.

Ungelöste Probleme

Der Erhebung zufolge werden in der Konsequenz zahlreiche Bestandsprodukte vom Markt genommen, da sie nach der neuen Verordnung (noch) nicht zertifiziert sind. Dieses Problem erstreckt sich über alle 21 abgefragten Anwendungsgebiete. Dazu gehören u. a. Zahnmedizin, Unfallchirurgie, Gefäß- und Thoraxchirurgie, Chirurgische Instrumente, Neurologie und Orthopädie und viele mehr. In 16 davon streicht die Hälfte der darin tätigen Unternehmen einzelne Produkte, ganze Produktlinien oder komplette Sortimente. Beispielhaft werden die orthopädischen oder die klassischen chirurgischen Instrumente genannt. “Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass die MDR für die Hersteller von Medizinprodukten an vielen Stellen nicht praxistauglich ist”, sagt Martin Leonhard, Vorsitzender der Medizintechnik bei Spectaris. “Stehen aber bestimmte Nischenprodukte für die medizinische Versorgung nicht mehr zur Verfügung, könnte das zu einem vermehrten Einsatz von Produkten führen, die für diesen Zweck nicht zugelassen sind”, gibt er zu bedenken. “Ganz abgesehen von einer schwierigen Versorgungslage, denen bestimmte Patientengruppen ausgesetzt sind.”

Sinkende Innovationsbereitschaft

Die Umfrageergebnisse zeigen auch negative Auswirkungen auf die Innovationstätigkeit der Betriebe: Bei fast jedem zweiten Betrieb liegen derartige Projekte aufgrund der MDR auf Eis. Ein Fünftel der Unternehmen weicht bei der Erstzulassung ihrer medizintechnischen Innovationen aufgrund der MDR auf andere Märkte, wie etwa die USA oder Asien, aus. Das könnte ebenso nach sich ziehen, dass FuE-Abteilungen und die Durchführung klinischer Studien ins Ausland verlagert werden. Dabei hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig eine innovative Gesundheitsindustrie für Europa ist.

Hürden bei der Zusammenarbeit mit “Benannten Stellen”

Weiter erschweren strukturelle Probleme die Implementierung des kompletten MDR-Systems. Die Unternehmen gaben an, bei der Zusammenarbeit mit den “Benannten Stellen” vor hohen Hürden zu stehen. Neben einer deutlichen Kostensteigerung von durchschnittlich 38% Prozent, wobei die Kostensteigerung bei Produkten der Risikoklasse III mit bis zu 99% sich verdoppelt hat, hat sich auch die Dauer der Bewertungsverfahren erhöht, was zu einer enormen Verzögerung in der Bereitstellung der Produkte führt. Insbesondere kleinen Unternehmen bereiten die hohen Zertifizierungskosten große Schwierigkeiten.

Zudem sorgen fehlende Kapazitäten bei den Benannten Stellen für ein zusätzliches Hindernis. Zum Zeitpunkt der Befragung waren EU-weit noch immer weniger als die Hälfte der ursprünglich geplanten 59 Benannten Stellen für die Zertifizierung der Produkte unter neuem Recht akrreditiert. Folglich kommt es zu substanziellen Engpässen bei der notwendigen Erneuerung der Produktzertifikate unter der MDR, was wiederum zum Wegfall einiger Produkte führt.

Pragmatische Lösungen erforderlich

Aus Sicht der Industrie besteht als dringender Anpassungsbedarf der MDR. DIHK, MedicalMountains und Spectaris haben deshalb umfassende Handlungsempfehlungen für die Politik ausgearbeitet: Alt-Zertifikate, die zum Stichtag 26. Mai 2024 nachweislich nicht in die MDR überführt werden konnten, sollen unbürokratisch verlängert werden, um die Verfügbarkeit dieser Produkte weiter zu gewährleisten. Zudem müssen pragmatische Lösungen geschaffen werden, um eine verlässliche Implementierung der MDR ermöglichen. Hierzu zählen neben dem Ausbau der Benannten Stellen auch die bestmögliche Nutzung ihrer Ressourcen. Das könnte durch einen verkürzten Benennungszeitraum und eine modulare Bearbeitungsweise der Anträge durch die Benannte Stelle geschehen

Des Weiteren sind insbesondere die Erarbeitung von Sonderregelungen für Nischenprodukte und pragmatischere Bewertungsansätze für bewährte Bestandsprodukte notwendig, vor allem auch mit Blick auf die geforderten klinischen Daten. Entsprechende Studien sind wegen ethischer Bedenken oder aufgrund fehlender Prüfärzte oft gar nicht durchführbar.

Hier geht es zu den Umfrageergebnissen.

 

Quellenangabe „Befragung zur EU-Medizinprodukteverordnung von DIHK, SPECTARIS und MedicalMountains“